Von Vollmondnächten und High-End-Kundenservice

Von Vollmondnächten und High-End-Kundenservice

Luftaufnahme Glaston Germany, Neuhausen

Glaston Germany GmbH in Neuhausen. Foto: Glaston

Entwicklung von Polyurethan-Zahnriemen für die Glasindustrie

Das Mulco-Redaktionsteam war für Sie wieder einmal unterwegs - auf der Jagd nach einer interessanten Story. Im schönen Nordschwarzwald gelegen auf einer Anhöhe besuchten wir Glaston, einen der weltweit führenden Hersteller von Isolierglasanlagen. Hier erfuhren wir Einiges über die Beduetung von Schlüsseln und Vollmondnächten und über eine außergewöhnliche Verzahlung zwischen Glaston und beiden Mulco-Partnern BRECO Antriebstechnik, Hersteller von Polyurethan-Zahnriemen sowie Hilger u. Kern als Vertriebspartner und Lieferant für Antriebselemente.

Ankunft im Nordschwarzwald. Nur ein eifrig krähender Hahn durchbricht die idyllische Stille auf dem Parkplatz. Als Laie lässt sich nicht erahnen, dass hier in Neuhausen modernste Produktionsmaschinen für hochwertige Isoliergläser entwickelt, produziert und in alle Welt versendet werden. Verabredet sind wir mit dem Leiter der mechanischen Konstruktion, Stephan Kammerer, Martin Anthoni, Leiter des Einkaufs bei Glaston sowie René Preßler, langjähriger technischer Kundenberater bei Hilger u. Kern, der den Termin dank seiner guten Beziehungen einfädeln konnte.

v.l.n.r.: René Preßler, Stephan Kammerer und Martin Anthoni sind ins Fachliche abgetaucht. Foto: Krismeyer

(v.l.n.r.) René Preßler, Stephan Kammerer und Martin Anthoni sind ins Fachliche abgetaucht. Foto: Krismeyer

René Preßler eröffnet unsere Gesprächsrunde mit einem Rückblick: Der Start einer engeren Zusammenarbeit zwischen Hilger u. Kern und Glaston geht auf ein Entwicklungsprojekt mit dem sogenannten Schwerlastriemen, dem Breco ATS15, zurück. Dieser Riemen transportiert und positioniert auf seinem Rücken fast senkrecht stehende, mitunter tonnenschwere, scharfkantige Glasscheiben.

Für diesen Einsatzfall entwickelte Breco kundenspezifisch einen steiferen Zugträger – wichtig für die Positioniergenauigkeit – und applizierte eine für die Glasbearbeitung geeignete Rückenbeschichtung. René Preßler dazu: „Wir sprechen hier von einer besonders belastbaren Beschichtung, die unter dem enormen Glasgewicht keine bleibenden Verformungen davonträgt.“

Stephan Kammerer zum damaligen Projekt: „2020 setzten wir diesen Sonderzahnriemen von Breco erstmalig ein. Die Zusammenarbeit während der Entwicklung, die Lebensdauer und die konstant gute Qualität des Zahnriemens überzeugten uns. Daher sind wir nach ungelösten Qualitätsproblemen unseres bisherigen Hauptlieferanten für Zahnriemen auf Herrn Preßler von Hilger u. Kern zugegangen, und sahen mit ihm und Breco als Hersteller das Potential, die noch anstehenden technischen Herausforderungen lösen zu können. Schon damals verstanden wir, wie wichtig für uns die Bereitschaft und die Fähigkeit eines neuen Hauptlieferanten für Zahnriemen sein würde, echte Entwicklungsarbeit zu leisten.“

BRECO Zahnriemen in einer Glaston-Anlage

Die BRECO-Zahnriemen erhalten auf der Zahnseite unterschiedliche Berbeitungen wie Nuten, Absätze oder ein Polyamid-Gewebe, welches die Reibung auf der Tragschiene und damit Wärmeeintrag, Verschleiß und Antriebsleistung reduziert. Foto: Krismeyer

Dazu muss man wissen, dass in allen Glaston-Maschinen über 100 verschiedene Sonderzahnriementypen eingesetzt werden und in einer einzigen Anlage bis zu 500 Meter davon verbaut sind. Ihre einwandfreie Funktion ist für die Produktion von Isoliergläsern systemrelevant und die Anforderungen und Umgebungen in der Isolierglasproduktion sind äußerst speziell:

-    in der Glasplatten-Waschanlage mit Wasser,
-    beim Kantensäumen (Entgraten) und Randentschichten von Glas mit Wasser und sehr abrasivem Glasstaub,
-    beim Trocknen der Glasscheiben,
-    hinzu kommen Positionieranwendungen im Zehntel-Millimeterbereich z. B. in der Zusammenbau- und Gasfüllpresse.

Die Riemenrücken benötigen eine jeweils auf den Maschinenprozess genau abgestimmte Beschichtung. Durch das Aufextrudieren der Beschichtung auf den kalten Riemen entstehen Spannungen im Material quer zur Zugrichtung, die sich bei breiteren Riemen über 90 mm durch ein Verformen des Riemens bemerkbar machen – vergleichbar mit einem Bimetall. Der Riemen biegt sich schüsselartig durch und so wird dieser Ebenheitsfehler umgangssprachlich auch genannt: Schüsseln.

Stephan Kammerer erklärt dazu: „Unsere Glasscheiben stehen auf der Beschichtung und durch das Schüsseln des Zahnriemens auf der Tragschiene können die Glasscheiben – insbesondere leichte Scheiben – ihre Höhenposition nicht exakt einhalten. Unsere Anlagen können ein Minimalformat von 190 x 350 mm bei 3 mm Glasstärke – das wiegt praktisch nichts – aber auch tonnenschwere Gläser mit 2,7 x 6 m in 45 mm Dicke verarbeiten.“ Die wenigen zehntel Millimeter Abweichung durch den Ebenheitsfehler sind für die meisten Anwendungen ohne Belang, doch in der Isolierglasproduktion bewirkt dies eine Positionsabweichung und ist nicht erwünscht.

Beschichteter BRECO-Zahnriemen für den Einsatz im Nassbereich

Im Nassbereich: Auch mit Wasserbeaufschlagung müssen die Beschichtungen einen bestimmten Haftwert für einen schlupffreien Transport sicherstellen. Die Beschichtung in blau muss dazu noch abdruckfrei auf dem Glas sein. Foto: Krismeyer

Ebenheit im Zehntel-Millimeterbereich

Stephan Kammerer zur Vorgehensweise: „In zwei Videokonferenzen haben wir dann direkt mit dem Breco-Geschäftsführer Dr. Thomas Steinert die Sachlage besprochen. Daraus entstanden neue Ideen zur Lösung des Problems und Muster in verschiedenen Ausführungen, die von uns getestet wurden und schließlich das gewünschte Ergebnis lieferten.“ Der Aufwand ist nicht zu unterschätzen, bemerkt René Preßler: „Breco hat zur Lösung nicht nur einige Produktionsparameter angepasst, sondern sogar ein neues Produktionsverfahren angewendet. Ich möchte behaupten, dass es heute keinen Hersteller von beschichteten Zahnriemen gibt, der hierfür ein so umfangreiches Know-how und eine so exzellente Fertigungsexpertise aufweisen kann wie Breco. Die Ergebnisse bezüglich Belastbarkeit, konstanter Qualität, insbesondere eng tolerierter Schichtstärken und Ebenheit sind sehr beeindruckend.“

Ein weiterer Vorteil der neuen Zahnriemen mit aufextrudierter Beschichtung besteht darin, dass sowohl der Zahnriemen als auch die Beschichtung in einem Schweißprozess homogen miteinander verbunden werden können. Damit entfällt der Stoß an den Beschichtungsenden, welcher bei aufgeklebten Beschichtungen nicht zu vermeiden ist. Auch Glaston-Einkaufsleiter Martin Anthoni beschäftigte dieses Thema: „Am Ende konnten nicht nur die technischen Anforderungen gelöst werden. Das neue Verfahren trug auch wesentlich zur Kostenreduzierung bei.“

Nicht alle Zahnriemen transportieren die Gläser stehend über die Längskante. Einige Zahnriemen übernehmen den Transport mit der Beschichtung auch am Glasrand anliegend (im Nassbereich) oder mit flächiger Auflage der Scheiben mittels Unterdrucks im Sichtbereich. Leider sind Abdrücke auf gewaschenem Glas auch unter speziell hierfür bestimmter Beleuchtung und Lichtfarben für optische Kamerasysteme nicht immer 100% sicher zu erkennen. Stephan Kammerer: „Ideal zum Aufspüren von Abdrücken ist eine klare Vollmondnacht im montierten Zustand der Isoliergläser an der Fassade. Nur dann ist es viel zu spät. Abdrücke dürfen erst gar nicht entstehen.“

Abdrücke auf den Gläsern sicher zu vermeiden, erfordert sehr viel Know-how und Detailarbeit und fällt unter die Kategorie Betriebsgeheimnisse, weshalb wir auch gar nicht weiter fragen. Man kann aber davon ausgehen, dass die richtige Materialauswahl mit dem passenden Reibbeiwert, eine angepasste mechanische Bearbeitung, das Handling, eine fett- und staubfreie Verpackung der Zahnriemen und entsprechende Maßnahmen bei der Montage der Zahnriemen dazu zählen. Unter allen Umständen – so Stephan Kammerer – muss Schlupf zwischen Glas und Zahnriemen vermieden werden, denn dann wird feinstes Beschichtungsmaterial auf das Glas übertragen.

Erfolgreiches Team

Erfolgreiches Team (von links): Kundenberater René Preßler von Hilger u. Kern, Glaston-Konstruktionsleiter Stephan Kammerer und BRECO-Geschäftsführer Dr. Thomas Steinert. Foto: Minkus Images.

Direkter Draht in die Entwicklung des Lieferanten

„Normalerweise kommen wir als Maschinenbauer bei unseren Lieferanten an die leitenden Entwickler ja gar nicht heran. Wie läuft das normalerweise ab: Die Ansprechpartner des Lieferanten nehmen die Reklamation auf und leiten den Fall in die Qualitätssicherung weiter. Man erhält einen Report und eine neue Charge – und leider wieder das gleiche Problem. Aus der Not heraus beginnt man, die Zahnriemen einzeln zu vermessen, damit man überhaupt Maschinen ausliefern kann. Das ist nicht unser Anspruch!“, betont Stephan Kammerer und fährt fort: „Es war eine besondere Erfahrung für uns, wenn auf der anderen Seite Personen sitzen, die sich in der Herstellung des Lieferteils, in diesem Fall der Zahnriemen, hervorragend und in aller Tiefe auskennen. Nur so konnten wir unsere Bedürfnisse ganz genau erklären und Breco konnte so lange nachfragen, bis alle Aspekte der Entwicklungsaufgabe richtig verstanden waren. Wir erfuhren auch sofort, welche Maßnahmen welche Effekte auf das Produkt haben. Und auch wir konnten nachfragen, bis wir verstanden hatten, was auf der anderen Seite geplant ist. Der Bedeutung des beratenden Ingenieurs, Herrn Preßler von Hilger u. Kern, hat dies keinen Abbruch getan. Im Gegenteil, er war sehr eng in unseren Umstellungsprozess auf die neuen Zahnriemen eingebunden. In unserem speziellen Fall war allein die direkte Kommunikation mit dem Hersteller und Entwicklerteam zielführend und Breco war dazu bereit.“

Eine Lehre haben wir vom Redaktionsteam der Mulco aus unserem Besuch mitgenommen: Dem Kunden genau zuhören, die Aufgabenstellung vollständig verstehen, Offenheit für neue Wege in der Kommunikation und in der Produktion auf beiden Seiten und natürlich viel Erfahrung und sehr solide technische Kenntnisse – wenn all das zusammenkommt, wird sich der Erfolg früher oder später einstellen. Nach mehr als zwei Jahren der Umstellung arbeiten heute sehr viele verschiedene Breco-Sonderzahnriemen zuverlässig in den Glaston-Anlagen. Das Schüsseln gehört weitestgehend der Vergangenheit an, Reklamationen bei Vollmondnächten ebenso. In Neuhausen im Nordschwarzwald ist die Welt wieder in Ordnung. Und der Hahn, ja, der kräht immer noch.


Garbsen, 29.04. 2024
Mulco-Europe EWIV